Artikelwörter und Pronomen
Es gibt einen kleinen, aber wichtigen Unterschied zwischen diesen beiden Wortarten:
- Artikelwörter stimmen mit dem Substantiv in Kasus, Numerus und Genus überein.
- Pronomen beziehen sich auf eine Nominalphrase, deren Kern ein Substantiv, eine Substantivierung oder ein Pronomen ist. Mit diesem Kern stimmen die Pronomen in Person, Numerus und Genus überein, nicht aber unbedingt auch im Kasus.
Die Übernahme von Merkmalen wird als Kongruenz bezeichnet.
Wichtige Unterarten der Wortarten Artikel und Pronomen
1. Das Personalpronomen
Eigenart: tritt nur als Pronomen auf.
Formen:
ich, mich, mir, meiner (Erinnerst du dich meiner?)
du, dich, dir, deiner
er, ihn, ihm, seiner
Zum Personalpronomen gibt es hier anschließend eine ausführliche Beschreibung mit vielen Beispielen.
2. Das Reflexivpronomen
Eigenart: tritt nur als Pronomen auf.
Formen:
mich, mir - uns (1.Pers.Sg. und Pl.)
dich, dir - euch (2.Pers.Sg. und Pl.)
sich (3.Pers.Sg. und Pl.)
einander (reziprokes Pronomen) Sie streiten miteinander. Alles ist miteinander verbunden.
Beispiele aus unserem Text:
wir essen uns schön satt (sich sattessen); wir ziehen uns ein neues Hemd an (sich anziehen); wir lassen uns in einen Sessel fallen (sich fallenlassen); wir freuen uns auf das saubere Bett (sich freuen auf)
3. Das Possessivum
Eigenart: tritt sowohl als Artikelwort als auch als Pronomen auf.
Formen:
mein-unser
dein-euer
sein-ihr
Beispiele: Wo ist mein Sohn? Wo ist mein Bruder? Wo mein Verlobter? Ist Ihre Angelegenheit so wichtig?
4. Das Demonstrativum
Eigenart: tritt sowohl als Artikelwort als auch als Pronomen auf.
Formen:
dieser - jener
der, die, das
Beispiele:
a) als Artikelwort:
dieser abgründige Humor, diese blödsinnige Brille, diese ulkige versaute Frisur, dieser köstliche Traum;
mit dem Mantel, mit der Visage, mit der Brille in der Visage und mit der Bürste auf dem Kopf
b) als Artikel (Satz 1) und als Pronomen (Satz 2):
Mutter: Vater, bleib bei uns. Ich habe Angst. Ich friere von diesem Menschen.
Tochter: Unsinn, Mutter. Das ist einer von denen, die mit einem kleinen Knax nach Hause kommen. Die tun nichts.
5. Der definite Artikel
Eigenart: tritt nur als Artikelwort auf.
Formen:
der, die, das
Beispiele:
dann tauchen sie auf aus den Ozeanen, aus den Steppen und Straßen, aus den Wäldern; aus den Ruinen
6. Das Relativum
Eigenart: tritt eigentlich nur als Pronomen auf, ganz selten als Artikelwort.
Formen:
der, die, das
welcher, welche, welches
Beispiele:
Die Personen der dritten Szene sind: Beckmann und ein Oberst, der sehr lustig ist; seine Frau, die es friert in ihrer warmen Stube; die Tochter und deren schneidiger Mann, die gerade beim Abendessen sitzen.
Beckmann erzählt: Jede Nacht das Konzert auf dem Knochenxylophon, das der fette, blutige General veranstaltet; und jede Nacht die Sprechchöre, die die Toten skandieren; und jede Nacht der furchtbare Schrei, von dem Beckmann aufwacht.
Zum Relativum gibt es im Anschluss eine Übung.
7. Das Interrogativum
Eigenart: tritt sowohl als Artikelwort als auch als Pronomen auf. Als Artikelwort aber nur mit welcher und was für (einer).
Formen:
welcher
was für (einer)
was
Beispiele:
a) als Artikelwort:
welchen Traum träumt Beckmann jede Nacht? was für einen Befehl hat der Oberst Beckmann erteilt?
b) als interrogatives Pronomen
Tochter: Pappi, frag ihn doch mal, was er eigentlich will.
Oberst: Was wollen Sie denn von mir?
8. Das Indefinitum
Eigenart:
a) tritt sowohl als Artikelwort als auch als Pronomen auf.
b) tritt nur als Pronomen auf.
Formen für a) in Auswahl:
etwas, genug, alle, alles, jeder, sämtliche, beide, einige, manche, welche, solche, irgendwelche, irgendein, kein, ein bisschen, ein wenig, ein paar
Beispiele für a):
Ja, ja. Der Krieg ist aus. Das sagen sie alle.
Ich sehe ohne Brille alles verschwommen. Aber so kann ich alles erkennen.
Formen für b) in Auswahl:
irgendetwas, irgendwas, was, man (einen, einem), jedermann, jemand, irgendjemand, irgendwer, wer, einer, niemand, nichts, unsereiner, seinesgleichen, dergleichen
Beispiele für b):
ich möchte am Tage manchmal vielleicht was essen, weiter nichts; ich sehe ganz genau von hier, was Sie auf dem Tisch haben.
9. Der indefinite Artikel
Eigenart: tritt nur als Artikelwort auf.
Formen:
ein, eine, ein
Beispiele:
Ein Mann kommt nach Deutschland. Und da erlebt er einen ganz tollen Film. Er merkt, dass es ein ganz alltäglicher Film war, ein ganz alltäglicher Film. (= aus der Einleitung des Dramas Draußen vor der Tür).
Das Personalpronomen in der 3. Szene
Beckmann und der Oberst versuchen, miteinander zu sprechen, aber ihre Kommunikation misslingt.
Das hat sicherlich auch damit zu tun, welche Personalpronomen im Laufe des Gesprächs vorkommen.
Heute betrachten wir näher diese kleinen Wörter und wie sie von den Sprechern gezielt eingesetzt werden.
Das höfliche Sie im Deutschen
Von einer Unfähigkeit der Männer, miteinander zu kommunizieren, ist auf den ersten Blick nichts zu spüren. Beide verwenden ganz normal die Personalpronomen der 1. Person Singular für die sprechende Person und die 3. Person Plural als höfliche Anrede für die angesprochene Person. Mit ihrer höflichen und respektvollen Art wahren sie den Anstand.
Beckmann: Ich weiß, Sie können mir helfen.
Oberst: Was wollen Sie denn von mir?
Beckmann spricht hauptsächlich mit dem Oberst. Das höfliche Sie kann aber auch durchaus mehrere Personen miteinbeziehen wie in diesem Textabschnitt, wo sich der heimgekehrte Soldat an die ganze Familie wendet:
Beckmann: Ihre Fenster sehen von draußen so warm aus. Wissen Sie, wie es ist, wenn nachts so helle warme Fenster da sind und man steht draußen?
Der gezielte Einsatz der anderen Personalpronomen
In den folgenden Beispielen treten aber die eingangs erwähnten Probleme in der Kommunikation deutlich zutage:
1. Beckmann gebraucht die 1. Person Singular ich provozierend, um sich gegenüber dem Oberst abzusetzen.
2. Die Familie benutzt untereinander die 2. Person Singular, das vertrauliche du, und schließt Beckmann bewusst davon aus.
3. Beckmann verwendet die 3. Person Singular und Plural, um von z. T. sehr befremdlichen Personen, Dingen oder Sachverhalten zu erzählen.
4. Beckmann setzt die 1. Person Plural wir auf zweierlei Art ein, nur nicht in der üblichen inklusiven, wo der Angesprochene wie selbstverständlich mitgemeint ist.
5. Beckmann ersetzt das bisher gepflegte höfliche Anredepronomen Sie durch das vertrauliche ihr, um eine Kritik des Obersts zu kontern. Dadurch provoziert er den Abbruch des Gesprächs.
Die 1. Person Singular
Beckmann gebraucht die 1. Person Singular ich provozierend, um den Oberst herauszufordern.
In den folgenden Beispielsätzen meint Beckmann sich selbst mit dem ich (NOM), mich (AKK) und mir (DAT). Gleichzeitig verwendet er als Konfrontation mit dem Angesprochenen (Oberst) das Sie (NOM) und Ihnen (DAT). Auf denen liegt dann der kontrastive fokale Akzent.
Bei mir sind es nur elf. — Wieviel sind es bei Ihnen, Herr Oberst?
Ich wollte nur feststellen, ob ich mich heute Nacht ersaufe oder am Leben bleibe. — Können Sie überhaupt leben, Herr Oberst?
Nachts, nachts möchte ich schlafen. Ich kann nicht schlafen, Herr Oberst, keine Nacht. — Schlafen Sie gut, Herr Oberst? Können Sie schlafen? Herr Oberst, Herr Oberst schlafen Sie nachts gut? Ja?
Und dann schreie ich, dann schreie ich los in der Nacht. Dann muss ich schreien, so furchtbar, furchtbar schreien. — Können Sie eine Minute leben, ohne zu schreien?
Die 2. Person Singular
Zu Beckmann gehen alle außer dem Oberst von Anfang an auf Distanz. Niemand der am Tisch Sitzenden spricht den nächtlichen Besucher direkt an, aber alle machen Bemerkungen über ihn. Die Familie benutzt untereinander die 2. Person Singular, das vertrauliche du. Beim Imperativ fehlt das Subjekt, die Aufforderung richtet sich stets an den Vater in seiner Rolle als Familienoberhaupt.
Tochter: Pappi, frag ihn doch mal, was er eigentlich will.
Mutter: Vater, sag ihm doch, er soll die Brille abnehmen.
Mutter: Vater, beende das.
Und gleich zweimal, als wäre es ein Stoßgebet:
Mutter: Vater, bleib bei uns.
Die 3. Person Singular und Plural
Es ist Beckmanns Traum, der die Mutter zu dem doppelten Stoßgebet veranlasst. Beckmann erzählt darin von merkwürdigen Personen, Dingen und Sachverhalten. Auf diese wird mit den Formen der 3. Person (er, sie, es; sie) Bezug genommen, und zwar meist anaphorisch, d.h. rückweisend:
Da steht ein Mann und spielt Xylophon. Er spielt einen rasenden Rhythmus.
Die Hölzer seines riesigen Xylophons sind gar nicht aus Holz. Nein, sie sind aus Knochen.
Daneben gibt es bei Borchert durchaus auch den kataphorischen, d.h. den vorausweisenden Gebrauch des Personalpronomens:
Und weil es so groß ist, muß er bei jedem Schlag vor dem Xylophon hin und her sausen. Dabei schwitzt er, der Mann.
Und dann kommen sie. Dann ziehen sie ein, die Gladiatoren, die alten Kameraden.
Durch den kataphorischen Gebrauch wird Spannung erzeugt. Siehe dazu das folgende Textzitat:
Beckmann: Ich bringe sie Ihnen zurück.
Oberst: Wen?
Beckmann: Die Verantwortung.
Die Pluralform sie steht an einer Stelle im Text ohne Beziehung auf ein Substantiv.
Beckmann: Jawohl, Herr Oberst. Bin irgendwo mit eingestiegen. In Stalingrad, Herr Oberst. Aber die Tour ging schief, und sie haben uns gegriffen.
Die Feinde haben ihn gegriffen, aber sie bleiben anonym und ohne Gesicht. Das Plural lässt sie in übermächtiger Zahl erscheinen.
Die 1. Person Plural
Mit wir bezeichnet Beckmann als einzelner Sprecher weitere Personen, die dasselbe mitgemacht haben wie er. Sein Schicksal als Soldat und Kriegsgefangener hat auch hundertausend andere getroffen. Und umgekehrt: Auch er ist einer von denen. Der Oberst als direkt Angesprochener wird ausgeschlossen.
Drei Jahre haben wir gekriegt, alle hunderttausend Mann.
Und wir löffelten heißes Wasser.
Dann sind die Nächte so, daß wir nicht atmen können. Daß wir ersticken.
Im Gegensatz dazu klingt das wir in den folgenden Beispielen eher wie eine Parodie des Pluralis Majestatis. Beckmann schlüpft tatsächlich in die Rolle eines Komikers, wie der Oberst es ihm später wünschen wird. Denn an einer bestimmten Stelle im Gespräch stellt er sich in seiner zerrissenen Uniform hin und beschreibt das bequeme Leben eines Offiziers, als wäre es seins. Er spielt eine Person mit Autorität und Macht. Dabei ist er äußerlich und innerlich ein Häufchen Elend. Er karikiert die Befehlshaber, die sich immer wieder geschickt aus schwierigen Situationen herausmanövrieren. Insgesamt sagt er zehnmal wir, doch wenige Sätze sollen hier als Beispiel genügen.
Wir essen uns schön satt, Herr Oberst, richtig satt.
Wir freuen uns auf das saubere Bett, das wir ja haben, wir beide, Herr Oberst, das im Schlafzimmer schon auf uns wartet, weich, weiß und warm.
Und dann halten wir die Wahrheit hoch, Herr Oberst, unsere gute deutsche Wahrheit.
Die 2. Person Plural
Zum Eklat kommt es, als der Oberst am Ende wirklich herzlich lacht. Er nimmt die Sache mit Humor und will Beckmann einen alten Anzug schenken. Sein Rat ist gut gemeint:
Oberst: Werden Sie erstmal wieder ein Mensch!!!
Beckmann: Ein Mensch? Werden? Ich soll erstmal wieder ein Mensch werden? Ich soll ein Mensch werden? Ja, was seid ihr denn? Menschen? Menschen? Wie? Was? Ja? Seid ihr Menschen? Ja?!?
Das Gespräch bricht ab. Beckmann hat sich die Freiheit genommen, das formelle Sie durch das vertrauliche ihr zu ersetzen.
Damit hat er die Grenze des Erlaubten überschritten.