Lektion 3

Die Substantive: Was ist konkret, was abstrakt? Was ist belebt, was unbelebt? Warum der Eigenname Beckmann und sonst nur Appellative? 

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Das Substantiv

Alle Beispiele stammen aus dem Text von Wolfgang Borchert, der 1947 veröffentlicht wurde.

Er gehört zur sogenannten Trümmerliteratur, einer Literatur, die in den Trümmern des 2. Weltkriegs entstanden ist.

Die Welt lag in Trümmern, als Wolfgang Borchert schrieb. Darüber geben alle hier genannten Beispiele beredtes Zeugnis.

Substantive

Substantive bilden den Kern von Nominalphrasen (a), die mit Attributen bereichert werden können (b).

(a) [Der Offizier] zieht [ein Hemd] an und [einen Anzug].

(b) [Der Offizier a.D.] zieht [ein neues Hemd] an und [einen Anzug mit Knöpfen und ohne Löcher].

Zur Erklärung: a.D. bedeutet 'außer Dienst', was soviel heißt wie 'im Ruhestand', 'pensioniert'.

Substantive haben folgende Eigenschaften:

a. Sie haben ein festes Genus (Maskulinum, Femininum, Neutrum). Das Genus erkennt man meistens leicht am Artikel.

der Schrei, die Verantwortung, das Konzert

der Traum, die Nacht, das Xylophon

der Soldat, die Uniform, das Grab

b. Substantive lassen sich nach dem Numerus bestimmen: Sie sind entweder im Singular oder im Plural.

Nacht — Nächte; Grab — Gräber; Verband — Verbände; Uniform — Uniformen

c. Substantive lassen sich nach einem der vier Kasus bestimmen.

Verantwortung (Nominativ) ist doch nicht nur ein Wort. Und ich hatte die Verantwortung (Akkusativ). Irgendwo müssen wir doch hin mit der Verantwortung (Dativ). Beckmann spürt die Last der Verantwortung (Genitiv).

Die Bedeutungsgruppen der Substantive

Substantive lassen sich klassifizieren nach:

1. Gegenständlichkeit (konkret versus abstrakt),

2. Belebtheit (belebt versus unbelebt),

3. Eigennamen versus Appellative,

4. Relevanz (relevant versus irrelevant).

1. Gegenständlichkeit (konkret versus abstrakt)

Beispiele für Konkreta (Singular: das Konkretum) gibt es im Text zuhauf: 

Stube, Mensch, Offizier, Frau, Kind, Tisch, Fenster, Wald, Beckmann, Komiker, Schnaps, Bett, Mädchen, Brot

Abstrakta (Singular: das Abstraktum) sind nicht gegenständlich, nicht greifbar vorhanden, sondern nur in unserer Wahrnehmung existent und benennbar, wie beispielsweise:

menschliche Vorstellungen: Traum, das Meer von Toten, die Menschheit

die Definition von Handlungen: Brüllen, Gestöhn, Schrei, Meuterei, Gepolter, Gelächter

Vorgänge: Einzug, Schlaf, Abendessen, Leben, Sterben

Zustände: Knax (Knacks=eine leichte Verwirrung im Kopf), Angst, Verzweiflung, die ewige Finsternis, Hunger, Schlaflosigkeit, Beklemmung, Apathie, Seelenruhe

Charaktereigenschaften: Humor

moralische Wertung: Wahrheit, Verantwortung, Zimt (unnützes Zeug), das bisschen Krieg

Doch Borchert zeigt in seinem Text, wie der Krieg Verwirrung stiftet, und die Welt aus den Fugen gerät. Das, was in "normalen" Zeiten konkret ist, wird in Kriegszeiten zu einem abstrakten Wunschbild: Fenster, Tisch, Teller, Brot, Hemd, Bett, Ofen, usw.. Das sind die Gegenstände, die viele Menschen im Krieg verlieren. Andere verlieren ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Jugend, ihren Schlaf, ihre Zukunft. Auch Beckmann ist aus Russland heimgekehrt und besitzt nichts mehr außer seiner Bürstenfrisur, seiner Gasmaskenbrille und seinem alten Soldatenmantel. 

Der Oberst und seine Familie gehören zu den Glücklichen, die noch oder schon wieder helle, warme Fenster, einen Tisch, Teller, Brot, ein neues Hemd, ein sauberes, weiches, weißes, warmes Bett, einen warmen Ofen haben. In ihren Augen sind Beckmanns Habseligkeiten zu verurteilen, als würden sie ethischen Prinzipien widersprechen: 

Beckmanns Frisur ist merkwürdig, ulkig, versaut.

Beckmanns Brille ist blödsinnig.

Beckmanns Soldatenmantel bleibt unkommentiert, aber der Oberst will, dass er ihn gleich auszieht und stattdessen einen von seinen alten Anzügen anzieht. Der geht auf das Angebot erst gar nicht ein, denn er ist aus dem Krieg mit einer veränderten Sicht auf die Dinge wiedergekommen. Ein Anzug ist ihm suspekt, da er zu dem Erscheinungsbild (modern: Outfit) eines anständigen Menschen gehört. Beckmann aber traut keinem anständigen Menschen mehr.

Im folgenden werden Wörterbucheinträge für fünf einzelne Wörter (Stube, Mensch, General, Mond, Zirkus) gegeben: Doch inhaltlich sind sie ganz anders als in gebräuchlichen Wörterbüchern. Beckmanns Sicht auf die Dinge, seit er sie durch seine Gasmaskenbrille sieht, hat diese Veränderungen hervorgerufen. Deine Aufgabe könnte es sein, die folgenden Definitionen und Beispiele mit denen aus gängigen Wörterbüchern zu vergleichen.

Zu den verwendeten Abkürzungen: Ggs.: Gegensatz; o.Ä.: oder Ähnliches; Syn.: Synonym; ugs.: umgangssprachlich; Zus.: Zusammensetzung.  

Stube, die

Bestandteil eines anständigen Hauses: Abendessen, Ofen in der Stube; die Stube hat helle warme Fenster. Ggs.: in der Stube ⇔ draußen vor der Tür.

Mensch, der

a) die Menschheit der gewaschenen, rasierten, gut gekleideten und gut genährten Leute wie der Oberst; seine Gattin, seine Tochter, sein Schwiegersohn, sein Chauffeur; der Soldat, der Offizier, der General. Syn.: „wir Deutsche” (aus der Sicht des Obersts). b) die Menschheit der zwanzig Mann, der hunderttausend Mann, der Millionen hohlgrinsender Gespenster, der Frauen und Kinder. Syn.: Tote, Knochentrümmer, Fragmente, Väter, Söhne, Brüder, Verlobte; (Über)Lebende, alte Frauen, junge Frauen, kleine Kinder (aus der Sicht Beckmanns). 

Die Verständnisse hinsichtlich des Begriffs Mensch gehen weit auseinander: Der Oberst bezeichnet Menschen wie Beckmann als diese Typen von der Truppe, die mit einem kleinen Knax nach Hause kommen. Beckmann beurteilt Leute wie den Oberst oder den General als blutig, und damit ähnlich den Karikaturen eines George Grosz.

General, der

ein Mann mit Blutstreifen an der Hose, der Blut schwitzt und auf einem riesigen Knochenxylophon einen rasenden Rhythmus spielt: ein fetter, blutiger General; ein alter, schlachtenerprobter General. Syn.: fremdartiger Musiker.

Mond, der

a) der Mond scheint wie immer in der Nacht: er ist gelb wie ‘n Honigbrot, wie ‘n Eierkuchen (aus der Sicht des Obersts). b) der Mond scheint in der Nacht, wenn die Toten kommen: er ist wie der Bauch eines schwangeren Mädchens, das sich im Bach ertränkte, so weiß, so krank, so rund (aus der Sicht Beckmanns).

Zirkus, der

a) die Bühne: das Gelächter über die Toten; die Leute lachen sich kaputt, wenn es recht grausig hergeht, mit Blut und vielen Toten (aus der Sicht des Obersts) b) die Welt: der ganze große Zirkus (aus der Sicht Beckmanns).

2. Belebtheit (belebt versus unbelebt)

Bei diesem Kriterium geht es um den Unterschied zwischen Lebewesen und Gegenständen.

„Nach Belebtheit können insbesondere Konkreta näher bestimmt werden." (Dudengrammatik, Randnummer 222)

Und dieselbe Dudengrammatik führt als erstes Beispiel für Belebtheit den Menschen an.

Die Definition, die DWDS von "belebt" gibt, ist "lebendig, beseelt, von Leben erfüllt" (https://www.dwds.de/wb/belebt) 

Frage 1: Sind Oberst und seinesgleichen Menschen, und zwar im wahren Sinne des Wortes?

Nein. Für Beckmann sind der Oberst und seinesgleichen keine Menschen: Was seid ihr denn? Menschen? Menschen? Statt lebendig, beseelt, von Leben erfüllt sind sie für ihn fremdartig, blutig.

Frage 2: Sind die Toten Menschen, im Sinne von "lebendig, beseelt, von Leben erfüllt"?

Nicht mehr und noch nicht wieder. Deswegen sind sie ruhelos. Borchert schreibt von einem furchtbaren, unübersehbaren Meer von Toten. Die Toten waren einmal Menschen: Väter, Brüder, Söhne, doch jetzt sind sie eine Naturgewalt, animiert wie in einem Horrorfilm, getrieben von einer konkreten menschlichen Sehnsucht. Sie stehen aus ihren Gräbern auf und wollen Gerechtigkeit.

Frage 3: Sind die (Über)Lebenden, wie sie es eigentlich dem Namen nach sein müssten, "lebendig, beseelt, von Leben erfüllt"?

Ja natürlich, aber doch nicht im wahren Sinne des Wortes. Ohne Zweifel sind alle diese Frauen und Kinder, die der Krieg zurückgelassen hat, Menschen. Doch wie Gespenster treten sie zu Beckmann ans Bett und wollen Gerechtigkeit für ihre Toten: traurige, trauernde Frauen, alte Frauen mit grauem Haar und harten rissigen Händen, junge Frauen mit einsamen, sehnsüchtigen Augen, viele kleine Kinder. 

Frage 3: Ist Beckmann ein Mensch?

Im Grunde ist die Antwort dieselbe wie die für die Toten: Nicht mehr und noch nicht wieder. Auch Beckmann ist ruhelos. Aber ist er in den Augen der anderen ein Mensch?

a) Für den Oberst und seine Familie ist er lächerlich wie seine Uniform oder Brille oder wie seine Frisur: ein Überbleibsel aus dem Krieg.

b) Für die Toten und die Lebenden, die um eben diese Toten trauern, ist er der Unteroffizier, der die Verantwortung hatte.

Was Beckmann an- oder umtreibt, ist genau dieses Bewusstsein, dass die einen über ihn lachen und die anderen nach ihm brüllen oder rufen. Dabei will er eigentlich nur in Seelenruhe pennen (sterben?).

3. Eigennamen versus Appellative

„Eigennamen haben die Funktion, etwas Einzelnes zu benennen." (Dudengrammatik, Randnummer 223)

„Das Wort Katze ist ein Appellativ (eine Gattungsbezeichnung), es bezeichnet eine Gattung oder Klasse." (Dudengrammatik, Randnummer 223)

Ist der Oberst ein Appellativ oder ein Eigenname? Der Oberst ist nur ganz am Anfang und nur einmal Der Oberst, im folgenden Text ist er einfach Oberst oder Herr Oberst. Das, was sonst als Appellativ benutzt wird, ist für ihn ein Eigenname geworden. Die anderen, die mit am Tisch sitzen, werden ebenfalls mit Hilfe von Appellativen benannt: Mutter, Tochter, Schwiegersohn. 

Und Beckmann? Beckmann ist ein Eigenname. Der Oberst, der seinen Untergesetzten kennt, versucht, den Eigennamen Beckmann zu vermeiden. Seit jenem Vorfall. Damals hatte er dem Unteroffizier Beckmann befohlen, die Verantwortung zu übernehmen.

Beispiele („Beckmann” versus Appellative)

Die Appellative, die der Oberst Beckmann nacheinander verpasst, sind:

(a) Soldat; (b) Deutscher; (c) Offizier; (d) Pazifist; (e) Schelm; (f) Komiker; (g) Mensch

(a) Beckmann lehnt die Bezeichnung Soldat ab. 

Oberst: Waren doch Soldat, wie?

Beckmann: Nein, Herr Oberst.

Schwiegersohn: Wieso nein? Sie haben doch Uniform an.

Beckmann (eintönig): Ja. Sechs Jahre. Aber ich dachte immer, wenn ich zehn Jahre lang die Uniform eines Briefträgers anhabe, deswegen bin ich noch lange kein Briefträger.

(b) Der Oberst erinnert Beckmann daran, dass sie Deutsche sind. Und dass es eine gute deutsche Wahrheit gebe, die es hochzuhalten gilt.

Beckmann antwortet ihm mit einer langen Parodie auf die Anständigkeit, deren Schluss so lautet:

Wir riechen das feine Parfüm unserer Gattin und kein Blut, nicht wahr, Herr Oberst, kein Blut, und wir freuen uns auf das saubere Bett, das wir ja haben, wir beide, Herr Oberst, das im Schlafzimmer schon auf uns wartet, weich, weiß und warm. Und dann halten wir die Wahrheit hoch, Herr Oberst, unsere gute deutsche Wahrheit.

(c) Der Oberst bedauert es, dass Beckmann kein Offizier geworden ist.

Oberst (ohne Schärfe): Warum sind Sie nicht Offizier geworden? Sie hätten zu ganz anderen Kreisen Eingang gehabt. Hätten 'ne anständige Frau gehabt und dann hätten Sie jetzt auch 'nen anständiges Haus. Wärn ja ein ganz anderer Mensch. Warum sind Sie kein Offizier geworden?

Beckmann: Meine Stimme war zu leise, Herr Oberst, meine Stimme war zu leise.

Seine Stimme wird wirklich ganz leise, als er beginnt, seinen Traum zu erzählen. Das Zuhören verunsichert den Oberst so, dass auch er nur noch im Flüsterton spricht. Aber sobald der Traum zu Ende ist, wird der Oberst wieder laut.

Beckmann sei ein heimlicher Pazifist (d).

Oder vielleicht doch nur ein kleiner Schelm (e).

Warum nicht gleich ein Komiker (f)?

Beckmann schweigt zu allem.

(g) Er reagiert erst, als der Oberst ihm sagt, erstmal wieder ein Mensch zu werden.

Beckmann (wacht auf und wacht auch zum ersten Mal aus seiner Apathie auf): Ein Mensch? Werden? Ich soll erstmal wieder ein Mensch werden? (schreit) Ich soll ein Mensch werden? Ja, was seid ihr denn? Menschen? Menschen? Wie? Was? Ja? Seid ihr Menschen? Ja?!?

Der Oberst nennt Beckmann, seit der Krieg aus ist, nicht mehr mit seinem Namen. Er sagt: einer von denen. Dabei ist Beckmann extra gekommen, um ihn an seinen Befehl zu erinnern: Unteroffizier Beckmann. Ich übergebe Ihnen die Verantwortung. Seitdem schläft Beckmann nachts nicht mehr, weil jemand seinen Namen ruft. Immer Beckmann oder Unteroffizier Beckmann

Es raubt ihm die Ruhe. Die Seelenruhe wird für ihn ein relevantes Wort.

4. Relevanz (relevant versus irrelevant)

Was ist relevant und was ist irrelevant? Um den Inhaltsbereich eines Textes mehr oder weniger genau zu erfassen, kann man Wortreihen aufstellen. Dabei sollten nur Wörter einer bestimmten Wortart (also nur Substantive oder Adjektive oder Verben) in einer Wortreihe stehen.

Beispiel für eine Wortreihe

Für Beckmann gibt es die eine drängende Überlebensfrage, mit der er den Oberst gleich zu Anfang konfrontiert:

BeckmannIch wollte nur feststellen, ob ich mich heute nacht ersaufe oder am Leben bleibe. Und wenn ich am Leben bleibe, dann weiß ich noch nicht, wie. Und dann möchte ich am Tage manchmal vielleicht etwas essen. Und nachts, nachts möchte ich schlafen. Weiter nichts.

Warum ist er in dieser verzweifelten Lage? Die folgenden Wörter geben Aufschluss über das, was Beckmann hat, bzw. nicht hat. In der Reihenfolge im Text sind das: (a) Fenster; (b) Teller; (c) Brille; (d) Bett; (e) Traum; (f) Verantwortung; (g) Seelenruhe; (h) Brot; (i) Schnaps.

Aufgabe: Eines dieser Substantive rettet ihm das Leben. Lies die Textzitate, um die richtige Antwort zu bekommen.

Textzitate

(a) Fenster

Beckmann  (freundlich): Ihre Fenster sehen von draußen so warm aus. Ich wollte mal wieder merken, wie das ist, durch solche Fenster zu sehen. Von innen aber, von innen. Wissen Sie, wie das ist, wenn nachts so helle warme Fenster da sind und man steht draußen?

(b) Teller

Tochter: Pappi, frag ihn doch mal, was er eigentlich will. Er kuckt fortwährend auf meinen Teller.

(c) Brille

Beckmann: Ja, ja. Der Krieg ist aus. Das sagen sie alle. Aber die Brille brauche ich noch. Ich bin kurzsichtig, ich sehe ohne Brille alles verschwommen. Aber so kann ich alles erkennen. Ich sehe ganz genau von hier, was Sie auf dem Tisch haben.

(d) Bett

Beckmann: Wir riechen das feine Parfüm unserer Gattin und kein Blut, nicht wahr, Herr Oberst, kein Blut, und wir freuen uns auf das saubere Bett, das wir ja haben, wir beide, Herr Oberst, das im Schlafzimmer schon auf uns wartet, weich, weiß und warm.

(e) Traum

Beckmann:  (schlaftrunken, traumhaft): Hören Sie, Herr Oberst? Dann ist es gut. Wenn Sie hören, Herr Oberst. Ich will Ihnen nämlich meinen Traum erzählen, Herr Oberst. Den Traum träume ich jede Nacht. Dann wache ich auf, weil jemand so grauenhaft schreit. Und wissen Sie, wer das ist, der da schreit? Ich selbst, Herr Oberst, ich selbst. Ulkig, nicht, Herr Oberst? Und dann kann ich nicht wieder einschlafen. Keine Nacht, Herr Oberst. Denken Sie mal, Herr Oberst, jede Nacht wachliegen. Deswegen bin ich müde, Herr Oberst, ganz furchtbar müde.

Oberst  (interessiert): Aber von Ihrem Traum wachen Sie auf, sagen Sie?

Beckmann: Nein, von meinem Schrei. Nicht von dem Traum. Von dem Schrei.

Oberst  (interessiert): Aber der Traum, der veranlaßt Sie zu diesem Schrei, ja?

Beckmann: Denken Sie mal an, ja. Er veranlaßt mich. 

(f) Verantwortung

Beckmann: Und dann kann ich nicht wieder einschlafen, weil ich doch die Verantwortung hatte. Ich hatte doch die Verantwortung. Ja, ich hatte die Verantwortung. Und deswegen komme ich nun zu Ihnen, Herr Oberst.

Oberst: Was wollen Sie denn von mir?

Beckmann: Ich bringe sie Ihnen zurück.

Oberst: Wen?

Beckmann  (beinah naiv): Die Verantwortung. Ich bringe Ihnen die Verantwortung zurück. Haben Sie das ganz vergessen, Herr Oberst? Den 14. Februar? Bei Gorodok. Es waren 42 Grad Kälte. Da kamen Sie doch in unsere Stellung, Herr Oberst, und sagten: Unteroffizier Beckmann. Ich übergebe Ihnen die Verantwortung für die zwanzig Mann. Sie erkunden den Wald östlich Gorodok und machen nach Möglichkeit ein paar Gefangene, klar? Jawohl, Herr Oberst, habe ich da gesagt. Und dann sind wir losgezogen und haben erkundet. Und ich – ich hatte die Verantwortung. Dann haben wir die ganze Nacht erkundet, und dann wurde geschossen, und als wir wieder in der Stellung waren, da fehlten elf Mann. Und ich hatte die Verantwortung. Ja, das ist alles, Herr Oberst. Aber nun ist der Krieg aus, nun will ich pennen, nun gebe ich Ihnen die Verantwortung zurück, Herr Oberst, ich will sie nicht mehr, ich gebe sie Ihnen zurück, Herr Oberst.

Oberst: Aber mein lieber Beckmann, Sie erregen sich unnötig. So war es doch nicht gemeint.

Beckmann  (ohne Erregung, aber ungeheuer ernsthaft): Doch. Doch, Herr Oberst. So muß das gemeint sein. Verantwortung ist doch nicht nur ein Wort, eine chemische Formel, nach der helles Menschenfleisch in dunkle Erde verwandelt wird. Man kann doch Menschen nicht für ein leeres Wort sterben lassen. Irgendwo müssen wir doch hin mit unserer Verantwortung. 

(g) Seelenruhe

Beckmann: Herr Oberst, Herr Oberst, schlafen Sie nachts gut? Ja? Dann macht es Ihnen ja nichts aus, dann kann ich wohl nun endlich pennen – wenn Sie so nett sind und sie wieder zurücknehmen, die Verantwortung. Dann kann ich wohl nun endlich in aller Seelenruhe pennen. Seelenruhe, das war es, ja, Seelenruhe, Herr Oberst!

(h) Brot

Schwiegersohn: Und der Kerl ist weg. Sah mir gleich nicht ganz einwandfrei aus, der Bruder.

Tochter: Eins, zwei, drei – vier. Nein, es ist alles noch da. Nur der Aufschnitt-Teller ist zerbrochen.

Oberst: Zum Donnerwetter ja, worauf hatte er es denn abgesehen?

Schwiegersohn: Vielleicht war er wirklich bloß blöde.

Tochter: Nein, seht Ihr? Die Rumflasche fehlt.

Mutter: Gott, Vater, dein schöner Rum!

Tochter: Und das halbe Brot – ist auch weg!

Oberst: Was, das Brot?

Mutter: Das Brot hat er mitgenommen? Ja, was will er denn mit dem Brot?

Schwiegersohn: Vielleicht will er das essen. Oder versetzen. Diese Kreise schrecken ja vor nichts zurück.

Tochter: Ja, vielleicht will er das essen.

Mutter: Ja, aber – aber das trockene Brot?

(Eine Tür kreischt und schlägt zu)

(i) Schnaps

Beckmann  (wieder auf der Straße. Eine Flasche gluckert): Die Leute haben recht  (wird zunehmend betrunken). Prost, der wärmt. Nein, die Leute haben recht. Prost. (...)  Komm, glucker nochmal aus der Buddel, prost. Der Schnaps hat mir das Leben gerettet, mein Verstand ist ersoffen! Prost!  (großartig und besoffen) Wer Schnaps hat oder ein Bett oder ein Mädchen, der träume seinen letzten Traum! Morgen kann es schon zu spät sein! Der baue sich aus seinem Traum eine Arche Noah und segel saufend und singend über das Entsetzliche rüber in die ewige Finsternis. Die andern ersaufen in Angst und Verzweiflung! Wer Schnaps hat, ist gerettet! Prost! 

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